Wenn wir von Symptomen sprechen, meinen wir meist etwas Ungewöhnliches, Störendes in unserem Erleben oder Verhalten. Jemand, der lange Zeit dabei geholfen hat, die Unterbringung aufzubauen, das Durcheinander zu ordnen und anderen zu helfen, reagiert auf einmal panisch, wird aggressiv, ist scheinbar unvermittelt völlig fertig. Vielleicht gerade dann, wenn der Druck etwas nachlässt. Eine Mitarbeiterin bekommt auf einmal Angst auf der Straße, traut sich nachts nicht allein nach Hause und weiß gar nicht, was da mit ihr geschieht.
Symptome sind Reste des nicht Verarbeiteten. Es sind Gefühle oder Reaktionsweisen, die in einer anderen Situation Sinn gemacht haben (als die Bomben fielen oder bei den Übergriffen auf der Flucht). Die Angst, die Wut, die Panik waren auch damals da, aber alles ging so schnell und nichts konnte angemessen verarbeitet und dann vielleicht sogar eingeordnet werden. Das Erleben hat keinen Platz gefunden, ist noch nicht eingeordnet worden. Solche Versatzstücke tauchen oft auch erst sehr viel später auf, dann, wenn der akute Zustand vorbei ist und sich das Unverarbeitete ins Bewusstsein drängt. Auslöser dafür sind schwer zu benennen, haben oft nur mit allgemeinem Stress zu tun. Ein wenig kennen wir das alle: wenn die Belastung hoch ist, reagieren wir eher angespannt oder ängstlich, je nachdem, was in unserer eigenen Geschichte wichtig war.
Nicht verarbeitetes Erleben verhindert Schlaf, tut an Körper und Seele weh, spielt Alpträume und auch tagsüber Horrorfilme ab. Sie sind nicht mehr ganz hier, aber wo sind Sie? Was passiert, wenn die Angst oder die Panik, die Wut oder Ohnmacht die Führung übernimmt?
Gerade dann, wenn der Körper ein wenig zur Ruhe kommt, wenn die Gesamtsituation sich entspannt, werden die Symptome bei denen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, oft deutlicher. Wichtig ist aber, immer auch zu unterscheiden: was ist von damals, was durch eine aktuelle Situation entstanden? Übergriffe, nicht nur auf Frauen und Mädchen, sind auch in Notaufnahmen alltäglich. Da hilft es nicht, das Erleben als Traumafolge der Flucht zu werten. Erst dann, wenn die neue Situation deutlich als sicher zu erleben ist, kann eine Unterscheidung einsetzen.
Symptome entstehen aber auch bei den HelferInnen, durch Überforderung, zu viel Nähe zum erlebten Grauen der Geflohenen oder dadurch, dass alte eigene oder familiäre Verletzungen wieder aufbrechen.
Symptome werden dann, wenn wir ohnehin angespannt sind, durch Kleinigkeiten ausgelöst: durch einen alltäglichen Reiz, ein Erzählung, die Aggression eines Heimbewohners oder die Schreie der Kinder. Ein Wort, ein Blick, ein Geruch oder ein Geräusch und plötzlich ist da wieder die Angst, die Wut, die Verzweiflung, der Schmerz. Dann hilft am ehesten, jemanden freundlich aber bestimmt wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Mehr dazu finden Sie bei den Tipps unter erden und reorientieren.